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Bittere Wahrheiten „Terror and Teethgrinding“

Foto: © Körber-Stiftung / Krafft Angerer

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Name: Konstantin
Alter: 29 Jahre
Beruf oder Berufung: Schauspieler und Regisseur

Bevor wir in die Welt von „Terror und Teethgrinding“ abtauchen durften hatte ich schon die Eröffnungsansprachen für das Körber Studio, die Rede des Regisseurs Falk Richter (zu Beidem an anderer Stelle mehr), das Theaterstück „Elephant“ und vor allem einen intensiven Workshoptag mit 22 jungen Menschen , von denen die meisten einen Fluchthintergrund haben, erlebt. Diese Menschen suchen einen Ausbildungsplatz, sie sind laut, witzig, schüchtern, nervig, pöbelig, manchmal aggressiv und vor allem absolut großartig und haben eine bewundernswerte Fokussierung auf Ihre Ziele und Träume.
Kurz: Ich war also etwas groggy aber extrem neugierig!

Ich wusste nicht viel über das Stück. „Furcht und Elend des dritten Reichs“ von Brecht sollte eine Rolle spielen (welches ich nicht gelesen hatte) und ich wusste natürlich, dass es das jährlich eingeladene Gastspiel ist, diesmal aus Budapest. Ich hatte nochmal etwas Wissen über Ungarn aufgefrischt, Viktor Orbán war mir als europäisches Schreckgespenst ein Begriff, u.A. als beliebter Gast bei CSU Klausurtagungen.
Vom einlesen blieb zumindest hängen, dass sein Regierungsbündnis mit Fidesz und KDNP zusammen seit 2010 eine 2/3 Mehrheit an Sitzen im Parlament einnehmen, was sie dazu befähigt die Verfassung zu ändern. Gesetzespakete wurden 2018 beschlossen, welche die Menschenrechtsarbeit erschweren.
Die Liste ist vermutlich lang, für ein erstes Update hatte das erstmal gereicht.
Wieso in ungarische Politik einlesen um dieses Theaterstück zu schauen? Weil im Programmtext unter Anderem steht :

„Es gibt keine Manipulation mehr, keine Korruption, keine Propaganda und keine Zensur. Die alleinige Macht liegt nicht mehr in der Hand einer einzigen Partei. Heute sind die Menschen ruhig, informiert und aufgeschlossen, denn sie leben ein glückliches Leben in einer Gesellschaft, in der die Demokratie blüht.“ – Programmheft zu Terror and Teethgrinding.

Hinter der ironie-triefenden Lobpreisung scheint es bittere Wahrheiten und Realitäten zu geben. Die Not auf diese Art zu formulieren bläst mir den Pesthauch von Zensur, Unterdrückung und Angst entgegen.

Ich sitze in der vierten Reihe etwas links von der Mitte. Die Bühne scheint auf den ersten Blick grob aus verschiedenen alten Fenstern, Türen und Möbeln zusammengezimmert, die Seitenwände laufen schräg auf die Rückwand zu. Da steht viel Ramsch, gestapelte Stühle, zerschlissene Teppiche, Laminat mit Fliesenmuster, Sessel, Blumen, Kleiderständer und überall Vorhänge, ein Teddy mit Soldatenhelm (danke für dieses Detail an Letícia Kuti, Bühnenbild).
Es stehen in der Mitte der Bühne: E-Bass und Mikrophone. Das tut gut und lässt auf Unterbrechungen des klassisch-anmutenden Bühnenbilds hoffen.

Es folgt eine Bearbeitung des Theaterstücks in 9 Bildern. Die Kostüme von Anna Molnár : Alle in grauen Hemden mit dunkelgrauen Hosen als Grundkostüm. Drüber und dazu gibt es Extras, zwei Männer Bomberjacken stolpern im ersten Bild in das Wohnzimmer, im zweiten Bild trägt eine Gesellschaft Schürze, Uhr, Pullover, Schuhe und Hosenträger, alles in Knallrot. Im Verlauf folgen Mäntel, Parker, Schirmmützen, lustige Sportmode im Stile körperlicher Ertüchtigung vor 1989.

Immer wieder werden Musikstücke in den Text eingebettet. Das ist ja zu erwarten bei Brecht-Inszenierungen. Die Lieder sind modern, von Ádám Fekete geschrieben und spielen auf ungarische Lebensrealität an, das finde ich später beim Publikumsgespräch heraus. Das Ensemble singt und spielt technisch gut, frech und wenig affektiert. Das Stück wird auf ungarisch gegeben mit rasend-schneller Übertitelung.

Die Inszenierung von Márk Tárnoki bewegt sich zwischen historischen Bild, Kostüm, Text und Thema und Aktualisierung. Das faszinierende und extrem beängstigende dabei ist, das der Inszenierung das scheinbar mühelos gelingt. In dieser Aufführung vor einem Publikum, das kein ungarisch spricht, passiert das einfach und reist mich mit.

Die Geschichten, die erzählt werden kommen mir bekannt vor: Die Eltern die sich vor der Denunziation durch ihr Kind fürchten, der Monolog von Judith, die das Land verlassen will, nach Amsterdam und ich frage mich: Heute, wohin könnte sie fliehen vor einer politischen Realität die Menschen ihre Würde, ihren Wert und ihre Rechte abspricht? Wohin?

Das Schauspiel der Darsteller*innen Máté Hunyadi, Máté Martinkovics, Emina Messaoudi, Boglárka Nagy-Bakonyi, Balázs Szántó, Dávid Vizi ist klassisch, aber so gut gemacht, dass es durch die Details, mit denen das fantastische Ensemble spielfreudig durch das Stück reitet, die Systeme der Angst demaskiert, die hier behandelt werden.

Im Publikumsgespräch sagt eine Zuschauerin, die Aufführung hätte es geschafft Brecht wieder politisch werden zu lassen, etwas, das sich so viele Theatermenschen in Deutschland wünschen würden.
Das Inszenierungen über das dritte Reich wieder richtig gut auf heutige Politik und Gesellschaften in Europa zu übertragen sind, das hatten sich die Brechtfans wahrscheinlich nicht unter einer Aktualisierung vorgestellt.
Die Inszenierung löst Furcht aus, vor Rassismus im Alltag, der zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Politik wird und schon geworden ist, vor dem was die Künstler*innen im Nachgespräch über ihre berufliche Zukunft in Ungarn erzählen, vor einer ähnlichen Zukunft für die großartigen Menschen die sich hier in Hamburg startklar machen, sowohl die Künstler*innen, die hier eingeladen sind und das Festival ausrichten als auch die Menschen mit denen ich vor dem Theaterabend arbeiten durfte. Diese Angst ist gut, notwendig und ihre Überwindung ist ebenso notwendig.

Bitter truth „Terror and Teethgrinding“

Name: Konstantin

Age: 29 Jahre

Working as(s): Actor and director

Before we all dived into the world of „terror and teethgrinding“, our world, I heard the opening words of the festivals organisation team, the opening speech of director Falk Richter (more about that some other time), saw the theatreplay „Elephant“ and had an intense workshop day with 22 young people, most of them refugees from many different countries.

These people are searching for an apprenticeship, they are loud, funny, shy, annoying, confrontative, sometimes aggressive and extraordinary wonderful with an admirable focus on their aims and dreams.

In short: I was kind of groggy and curious.

I didn’t know much about the play.
„Furcht und Elend des dritten Reichs“ by Brecht would play a part(which I haven’t read) and I knew, that this was the yearly invited guestplay, this time from Budapest. In preparation I rereshed my information on Hungary, Viktor Orbán was known to me as the Poltergeist that haunts the EU and as a popular guest in CSU (Christian Social Union) conferences.

From research some facts stayed in my brain: Orbán and his alliance of Fidesz and KDNP have a 2/3 majority in the parlament since 2010 which enables them to change the constitution.
Laws were passed in 2018 that make humanity projects more difficult.

I guess the list is long and dark, that was enough for me as a first input.

Why to read about hungarian politics before watching that theatre play?
Because the programme text says something like „there is no manipulation anymore, no corruption, no propaganda and no censorship. The exclusive power is not in the hand of a single political party.
Today people are calm, informed and open minded, because they are living a happy life in a society where democracy florishes.“

Behind that irony-dripping praise there seems to be bitter truth and reality.
The need to formulate in that covered way is blowing the blight of censorship, oppression and fear into my face.

I am sitting in the fourth row, slightly left from the middle. The stage seems to be roughly made of different old looking windows,doors and furniture, the side walls run slope to the back wall. The stage is crowded with all kinds of stuff, carpets, laminate that looks like flagging, armchairs, flowers, coathanger and everywhere curtains, a teddy with a soldiers helmet ( thanks for that detail Letícia Kuti, stage design).

In the middle of the stage: E-base and microphones. Thats fine and raises hopes for contrasts to the classical first impression of the stage.

There follows an adaption of the play in 9 pictures. The costumes by Anna Molnár: All in grey button-down shirts with dark grey trousers as basic costume. Over that we have extras, two men in brown jackets are stumbeling into the first picture, in the second picture a small society of people wears apron, clock, jumpers, sneakers and suspenders in screaming red. There will be coats, basecaps, parkers, and funny sportswear in a before-1989-style.

Again and again songs are embeded into the text. Thats to be expected in a Brecht-play. The songs are modern, written by Ádám Fekete and point to hungarian society issues of today, thats what I learn in the aftertalk. The ensemble is singing and playing technically well, bold and not very affected.

The production of director Márk Tárnoki is moving between historical picture, costume, text and topic and updating the same. The fascinating and extremely menacing issue is, that it is successful and that it seems almost effordless. In this performance in front of an audience that is not able to understand hungarian it is happening and taking me away.
The stories that are told seem familiar: The parents that are afraid to be denounced by their own child, the monologue of Judith, who needs to leave the country and is going to Amsterdam and I am asking myself: Today, where would you run from a political reality that is denying your dignity, value and rights as a human being? Where?

The performance of actresses and actors Máté Hunyadi, Máté Martinkovics, Emina Messaoudi, Boglárka Nagy-Bakonyi, Balázs Szántó, Dávid Vizi is classical but so well made, that the details, on which this fantastic ensemble is riding with playfulness through the evening, are unmasking the systems of fear that are debated here.

In the aftertalk a spectator says the performance has done the trick and made Brecht’s play political again, something many theatre people in germany had desperately wished for a long time.

I guess the fact that productions about third reich can be easily adapted on mordern politics and societies in Europe wasn’t exactly what the Brecht fans had in mind.

The production causes fear, fear of all day racism that turns and has already turned into racism and xenophobia in politics, fear of the career perspectives the artists from hungary are pointing out for themselves in the aftertalk, fear of a similar future for the great young people that are getting ready in Hamburg, the artists, the students and my workshop participants. This fear is good, necessary and needs to be conquered.

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