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„Drei Schwestern“ werden älter…

Koerber Studio Junge Regie 2019; Studiobühne; Foto: Krafft Angerer

Name: Alessandra
Alter: fast 20
Beruf: Studentin

Ich komme etwas zu spät in den Saal für die guten Plätze, denn ich musste nochmal schnell auf die Toilette. Ist mir aber komplett egal, denn schließlich komme ich gerade aus dem Urlaub zurück und bin tiefenentspannt und so lasse ich mich auf den 3. Platz von links in der 6. Reihe plumpsen. Vorfreude empfängt mich, denn ich habe so richtig Bock mich mal wieder als Zuschauerin in den Sog des Theaters ziehen zu lassen.

Das Stück heute: Drei Schwestern. Ein Drama von Anton Tschechow. Ein Klassiker.
Ich selbst habe das Stück erst einmal gesehen und zwar mit 9 auf dem Schoß meines Papas. Das einzige an das ich mich noch erinnere, ist eine gewisse Art Mitgefühl, weil mir die Frauen auf der Bühne sehr verzweifelt vorkamen.

Und nun dämmt sich das Licht und ich bin gespannt, ob ich überhaupt noch etwas wieder erkennen werde. Kleiner Spoiler: Die SchauspielerInnen auf der Bühne waren auf jeden Fall auch verzweifelt.

Zu sehen sind nur die drei Schwestern Olga, Mascha und Irina, welche nacheinander auftreten. Ihr Bruder Andrej erscheint nie und wenn dann nur als Klang seiner Klaviertasten.
Gleich am Anfang spielen die drei Schwestern auf einer Drehscheibe fangen und necken sich gegenseitig. Es macht Spaß den Dreien zuzusehen und ich merke wie sich meine Mundwinkel nach oben ziehen. Die ganze Szene hat etwas ganz natürliches und reines, als ob drei Kinder auf dem Spielplatz turnen und nicht wissen, dass sie gleich im Stück ihre älter gewordenen Ich’s verkörpern und so manch eine Entscheidung bereuen werden, die sie im Leben getroffen haben. Als Höhepunkt regnet es Konfetti von der Decke und die Schwestern versuchen den Konfetti mit der Zunge aufzufangen wie Schnee. Eine Zuschauerin hinter mir sagt leise zu ihrer Begleitung: „So etwas wäre doch eigentlich die perfekte Endszene!“.
Und während ich auf die Bühne schaue, muss ich über ihre Worte nachdenken. Sie hat schon Recht! Oft löst sich ein Stück in einer spielerischen Seqeunz auf und die/der ZuschauerIn lässt kurz nochmal sacken,was er gerade gesehen hat, bevor sie/er sich dem Beifall widmet.
Doch eine spielerische Sequenz hätte hier am Ende nicht gepasst, denn dieses Stück handelt vom älter werden und genau deshalb finde ich den Einstieg so gelungen: Denn so lange sich die Drehscheibe dreht, wird einem ganz leicht ums Herz und erst als die Schwestern die Scheibe stoppen, wird einem bewusst, dass dies nur ein Rückblick war und einem jetzt die unbequemen Wahrheiten serviert werden.

Jede der drei Schwestern hat ihr Päckchen zu tragen und so feuern sie ihre Sorgen in den eigenen vier Wänden ab. Ob mal ihre Schwestern anschreiend oder in die Stille geflüstert.
Immer mit der unterschwelligen Begründung:
„Ihr seid doch meine Schwestern, euch kann ich es ja sagen…“.
Es geht um bereute Ehen, vertane Chancen, den richtigen Job, Karriere, Liebe, Heimat und vieles mehr. Zusammenfassend wird sich einfach immer wieder die Frage gestellt, ob man das Leben führt, welches man sich erträumt hat.

Mein Lieblingssatz wird von der jüngsten Schwester Irina gesungen:
„Für alle deine Liebe viel zu jung!“
Denn sie soll den älteren Offizier heiraten, weil er eine gute Partie sei, um ein erfülltes Leben zu führen. Aber eigentlich bedeutet dieses „erfüllte“ Leben nur, dass sie eine gute Hausfrau sein soll, die in der Gesellschaft akzeptiert wird.
Der Satz geht mir sehr nah, denn wie oft macht man Dinge nur, weil es so erwartet wird? Aber ob man damit glücklich ist, dass fragt kaum einer.

Und zwischendurch wird noch Geburtstag und Todestag zugleich gefeiert. Denn Irina hat am gleichen Tag Geburtstag an dem der Vater der drei Schwestern verstorben ist.
Doch neben den schweren Dialogen und Monologen wird oft gelacht, denn die Schwestern wissen sich gegenseitig zu provozieren und aus den Ecken zu locken. Und so spielen sie immer wieder die witzigsten Gäste nach, die zu ihren Geburtstagsfeiern gekommen sind. Und wer da nicht laut lacht, der weiß nicht wie wichtig eine Schwester oder ein Bruder als Beistand ist, wenn einem mal wieder zu fest in die Wange gekniffen wurde, als die Nachbarn zu Besuch waren.

Die Inszenierung lässt mich kein einziges Mal kalt, nie frage ich mich wann das Stück endlich zu Ende ist, denn der Schlagabtausch der Schwestern ist perfekt abgestimmt. Sie spielen sich ständig die Bälle zu und verpassen trotzdem nicht die ZuschauerInnen zwischendurch mal aufatmen zu lassen.
Man nimmt den drei SchauspielerInnen sofort ab, dass sie sich genauestens kennen und miteinander aufgewachsen sind wie Schwestern. Jede Berührung wirkt vertraut und wenn sie auf den drei alten Kinositzen herumturnen, dann vergisst man schnell, dass wir im Theater sitzen und nicht in deren Wohnzimmer.

Am Ende des Stückes fängt die Reklame mit der Aufschrift „Winner“ an zu flackern und ich stelle mir die Frage: Sind die drei Schwestern die Gewinnerinnen oder Verliererinnen ihres eigenen Lebens?

Diese Frage beantworten die drei Schwestern persönlich, denn bevor sie abgehen, erzählen sie von Ihrer Zukunft. Olga macht Karriere und wird Schuldirektorin. Irina heiratet den Offizier wie ihr geraten wurde und bereut es sofort. Mascha möchte von vorn anfangen, denn sie fühlt sich eingeengt und durchbricht als einzige der drei Schwestern die 4. Wand. Sie fragt die ZuschauerInnen wie alt sie waren als sie ausgezogen sind, ob sie schonmal gefeuert wurden oder ob sie schonmal jemanden verraten haben.
Obwohl das Drama von 1901 ist, wird einem spätestens jetzt klar, dass diese Geschichte immer noch aktuell ist. Klar, wir fühlen uns heutzutage nicht mehr genötigt Hausfrau zu werden, aber gewissermaßen lagern immer Erwartungen auf unseren Schultern, ob von unserer Familie, FreundInnen, KollegInnen oder der Gesellschaft im Allgemeinen. Erwartungen spielen in jeder Generation eine Rolle…

Und so bleibt mir nur mich am Ende hinzustellen und ganz laut zu klatschen, denn dieses Stück war der reine Wahnsinn!

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