Koerber Studio Junge Regie 2019 Foto: Krafft Angerer
„Sei mal ein bisschen mehr du selbst!“
„Wir sind alle Hochstapler!“
Diese zwei einer Dichotomie anmutenden Zitate aus dem Stück „Peer Gynt“ fassen die Inszenierung von Felix Krakau eigentlich ganz treffend zusammen. Das Stück war allerdings längst nicht so gradlinig, wie man jetzt vielleicht vermuten mag.
Bevor ich mich allerdings in meine Eindrücke stürze, hier die obligatorische Vorstellung: Ich bin die Birte, die auch gestern schon über „Elephant“ geschrieben hat. Ich bin 23, heute noch freiberufliche Grafikdesignerin und ab Montag dann Jr Creative Specialist. Meine Berufung ist ähnlich meines Berufes: Ideen zu visualisieren und das möglichst ästhetisch. Ich habe allerdings bereits gestern gelernt, dass ich mich nicht nur, wie man bei meiner Berufung wohl vermuten mag, auf das Visuelle konzentriere, sondern die Story einen ebenso hohen Stellenwert für mich hat. Von meinem Platz in der vierten Reihe, ziemlich genau in der Mitte, ziemlich genau derselbe wie gestern, hatte ich einen perfekten Blick und war nach meinem Tag echt froh zu sitzen. Wenn möglich war der nämlich noch voller und länger als der gestrige, aber dieses mal war ich weniger müde und absolut motiviert. Peer Gynt sagte mir Kulturbanausem vorweg nichts und ich habe es auch bewusst vorher nicht gegoogelt. Wollte es auf mich zukommen lassen. Natürlich habe ich mich allerdings vorweg mit der zweiten Reflektorin für dieses Stück unterhalten- meiner Mutter: Anne. Und die wusste definitiv mehr darüber, weshalb ich dann mit den Gedanken bei einem dramatischen Gedicht von 1867 war und nicht bei der Farbexplosion, die folgte.
Die besagte Farbexplosion waren übrigens die Schauspieler, beziehungsweise deren Kostüme. Sie haben sich ins Publikum geschoben, in Klamotten bei denen jemand die Sättigung ordentlich hochgedreht hatte. Als die Gruppe da so stand, haben sie angefangen uns das Stück, die Charaktere die sie jeweils spielen und etwas zu sich selbst zu erklären. Vierte Wand, who? In dieser Inszenierung handelte es sich dabei eher um einen Mythos.
Es fiel der Satz, dass das Gestell auf der Bühne eher so eine Andeutung sei, statt eines richtigen Bühnenbildes. Hierbei handelte es sich um eine Metallkonstruktion auf Rollen, mit zwei Etagen, wo auf der niedrigeren eine „Andeutung eines Schlagzeuges“ stand und in der Mitte eine Treppe von ganz unten nach ganz oben ging. Es gab noch einiges an Winkeln, Seesäcken und eine Leiter, die es aber erst später zu entdecken gab. Also ja, der Aussage konnte ich durchaus beipflichten.
Begeisternd redend kamen die Schauspieler dann runter zur Bühne, während sie übrigens unter anderem beteuerten nur irgendwelche Jugendliche zu sein, so ganz ohne Ausbildung im Schauspiel. Ihre Ausrufe schwollen dann zu einem Chor von: „Ihr müsst euch vorstellen, dass- …“ in dem die drei Punkte für allerlei Details zur Bühne, was das Gerüst denn eigentlich andeuten soll, dem Stück und erneut auch zu den Schauspielern stehen. Zum Ende hin wurden sie immer lauter und eindringlicher, bis sie schlussendlich mit dem Ausruf von „Ihr müsst euch vorstellen, dass wir unvorstellbar sexy sind!“ das Stück gestartet haben. Ich hatte tierische Gänsehaut.
Sie haben Szenen gespielt, die wirkten als kämen sie aus dem Original, die dann aber durch Schauspieler unterbrochen wurden, die aus ihrer Rolle fielen um eine Weile sich selbst zu spielen. Zum Beispiel bei der Hochzeitsszene am Anfang. Die lief gar nicht lange, bis es einen Konflikt zwischen dem Schauspieler Ahmed und seiner Rolle gab. Die anderen Schauspieler machten sich über ihn und seinen Wunsch nach einer romantischen Liebesszene lustig. „Sei mal ein bisschen mehr du selbst!“ forderten sie ihn auf, während sie ihm lauter Motivationssprüche, die man heute überall hören und lesen kann, an den Kopf warfen und sie bestanden darauf, dass man denen widersprechen solle. Die Situation eskaliert, als Ji-Hun sich in einer Imitation zu Tom Cruise von der Bühnenkonstruktion stürzen will.
Das Gerüst wird gedreht und die Gruppe ist plötzlich zurück zum Zitieren von Peer Gynt und verschwindet hinter die Bühne. Nur Henk bleibt zurück, der uns erklärt, dass das ja wieder klar war. Er habe mal wieder den Anschluss verloren und er sei ja eh nur hier (im Sinne von: auf dieser Bühne, als Schauspieler), weil er Schlagzeug spielen könne. Solche Momente ziehen sich wie ein Roter Faden bis zum Ende.
Als die anderen zurück kommen, tragen sie individuelle Masken, die vermutlich an das originale Peer Gynt erinnern sollen. Sie fallen für eine Weile zurück in die Rolle, bis Vega sich lauthals selbst ankündigt, in dem grünen Kostüm einer Trollprinzessin, inklusive Lichterkette: „Auftritt der Grüngekleideten im Wald!“
Auf diese Weise läuft das Stück weiter, gespickt mit Konflikten, dass man „man selbst“ sein soll, sie das aber irgendwie nicht sind oder sein können oder wollen und die Situation und ihre Selbstzweifel eskalieren. Mit Szenen aus dem Original finden sie meist zurück auf den richtigen Weg. Jeder von ihnen ist einmal Peer Gynt in diesem Stück.
Ein kurzes Lob an dieser Stelle an den rotgelockten jungen Mann, der den Knopfgießer spielte. Das war der zweite Gänsehautmoment im Stück und absolut creepy und genial.
Alle Schauspieler haben die Szenen, die sie am Anfang angekündigt haben auch bekommen. Sogar Ji-Hun, der trotz Stimmbruches „Creep“ von Radiohead interpretiert hat. Das ist eines meiner absoluten Lieblingslieder, passte wie die Faust aufs Auge und war der perfekte Abschluss zu einem lustigen und gelungenen Stück mit einer tollen Moral.
Sie haben „irgendwie angedeutet“ das wir alle ein bisschen Peer Gynt sind.