Foto: © Körber-Stiftung / Krafft Angerer
Ich bin Yesim, 22 Jahre alt und studiere hier in Hamburg Regie seit ca. einem Jahr. Es ist mein erstes Körber Studio und ich hatte bisher eine gute Zeit.
Mit gespannter Erwartung setzte ich mich auf einen Platz in der ersten Reihe. Gleich betritt Benjamin Junghans die Bühne als Autor, Regisseur und Performer. Es ist das zweite Stück des Festivals, das sich die Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie vornimmt. Auch hier kreist die Performance um das namensgebende Thema „Verlust“. Bereits bei der Festivaleröffnung „Elephant“ hatte der Regisseur Moritz Hauthaler sich mit dem Ableben seines Vaters beschäftigt und im Rahmen dessen eine Rekonstruktion der letzten Stunden vorgenommen und die dazu führenden Umstände am Abend des Todes untersucht. Benjamin Junghans beschäftigt sich in der Garage viel grundsätzlicher mit existenziellen und banalen Verlusterfahrungen und steht dafür selber auf der Bühne. Ihm geht es weniger darum in einem Narrativ von seinem Leben zu erzählen, sondern mit Hilfe von Versuchsanordnungen und einer klaren Form einen performativen Umgang mit dem unkontrollierbarem Verschwinden und dem Abschiednehmen in seinem Leben umzugehen. Ausgehend von dem Vorhaben alle verlorenen Dinge, an die er sich erinnern kann, zu benennen und eine Abrechnung vorzunehmen, in der der Wert der unzähligen verlorenen Dinge ermittelt wird (15 666,14€), werden die Zusehenden an Benjamins Leben herangeführt.
Die Bühne besteht hauptsächlich aus einem Haufen Erde. Ein Diaprojektor, der Bilder, bunte Negative, wahrscheinlich auch biographisches Material, an die Wand wirft, setzt einen farblichen Akzent in den weißen Raum mit dem ebenfalls weiß gekleideten Darsteller. An der Wand stehen acht aufgestapelte Säcke weiterer Blumenerde, eine Teedose, zwei Tassen und den dazugehörigen Wasserkocher bringt Benjamin selber mit.
Davor aber hören wir noch eine abgehackte Computerstimme, die uns einlädt sich zu setzen (sie bietet Banjamin die notwendige Gegenspielerin als Initiatorin und später auch beendende Instanz, so Benjamin im Nachgespräch) und zwei unfertige Pianostücke die, wie mir auch viel später erst bewusst wird, am Ende erwähnt werden, als der verstorbenen Großmutter gewidmete Kompositionen. Dann kommt Benjamin, kocht Tee, beginnt zu erzählen und bettet sich auf den Haufen Erde, der im Laufe der Vorstellung Mittelpunkt der Bühne bleiben wird.
Zu zwei Seiten der Bühne sitzt das Publikum, das die folgenden 50 Minuten dem Tippen und Drucksen der Kasse und den Anekdoten Benjamins lauscht, der für die verlorenen Gegenstände naiv Kategorien, Farben, Orte und Preise festlegt: Für den Verlorenen Messing Korkenzieher (ca. 10 Euro), die verbuddelte Trekkingtrinkflasche (20 Euro), das Fake-MacBook (600 Euro) und den verstorbenen Lieblingsopa, der immerhin an die 2000 Euro kratzt.
„Altern heißt Trauern“. Der Haufen Erde wird immer mehr ein Grab, die kurz bespielte Mundharmonika ein Sarg, und das Aufzählen der Verluste verwandelt sich in etwas zwanghaftes. Wir erfahren vom Tod der Mutter. Bedrückende Autogeräusche werden immer wieder eingespielt, geht es hier doch um etwas sehr konkretes?
Benjamin erzählt uns viel, vielleicht zu viel von seinem Leben. In einem Interview des Körber Studios sagt er: „autobiografisches Material ist immer zu viel, es geht immer zu weit“ und obwohl ich diese Arbeit beispielhaft dafür finde, habe ich das Gefühl nur angeteast worden zu sein. Als Darsteller bleibt er viel für sich, teilt charmant aber zurückhaltend seine Geschichten, schützt sich hinter einer Form und trägt poetische Texte vor, die ich gerne nochmal lesen würde, die aber trotz des Aussprechens, in dem undefinierten Raum zwischen Performer und Publikum bleiben. Ob dieses Gefühl der Distanz trotz so großer Intimität, der Form geschuldet ist oder ob es keine andere Möglichkeit gibt sich einer Öffentlichkeit autobiographisch zu stellen, als mit diesen vielen Verfremdungen (Negativ-Bilder, Computerstimme, Liste..) ohne das es unangenehm wird, weiß ich nicht.
Und so bleibe ich bis zum Ende erwartungsvoll, als Benjamin kurz vor Schluss einen Brief an seine verstorbene Großmutter vorliest, rührt es mich. Ich glaube es ist diese Gerichtetheit, die mir jetzt erst wirklich einen emotionalen Zugang erlaubt. Das angekündigte Klaviervorspiel am Ende lässt auf sich warten. Also ist es vorbei? Der Applaus setzt anfangs zaghaft ein.
Während ich den Bühnenraum verlasse, habe ich meine Schwierigkeiten zu verstehen ob ich als Zeugin bei der Bewältigung traumatisierender Ereignisse beigewohnt habe oder ob dieses Stück mir Benjamins Sicht auf die Dinge näherbringen sollte. Sympathisch ist er mir auf jeden Fall geworden und doch fehlte mir etwas Greifbares an dieser Arbeit.