Koerber Studio Junge Regie 2019: leck mir die wunden; Regie Meera Theunert, Theaterakademie Hamburg, Hochschule für Musik und Theater Do 13. Juni 21 Uhr Thalia Gaußstraße, Studiobühne Foto: Krafft Angerer
Zum*r Autor*in : Ich bin Grosch, ich bin 26 Jahre alt und ich mache Theater Theater Theater, auch hin und wieder an der HfMT Hamburg. Vorfreudig setze ich mich in die erste Reihe Mitte. Ich habe das Stück „leck mir die wunden“ von Meera Theunert bereits bei der Premiere, ebenfalls im Thalia in der Gaußstraße gesehen und kenne auch so gut wie alle Mitwirkenden. Der Tag war bisher sehr gut. Vor dem Stück habe ich andere Stücke gesehen und andere Biere getrunken. Ich weiß schon: Jetzt wird es pikant.
1977: Ulrike Meinhof ist bereits tot. Die zweite Generation (Mein persönliches Unwort dieses Festivals) der RAF entführt ein Flugzeug zwischen Mallorca und Frankfurt, um die Freilassung der drei noch lebenden Köpfe der Organisation zu erpressen. Das Flugzeug wird während der Notlandung in Mogadischu gestürmt, die Geiseln befreit. Suizid in Stammheim und daraufhin, wie uns der Darsteller Xaver (Franz Xaver Franz) erklärt, die Ermordung des entführten BDA Präsidenten Hanns Martin Schleyer. Xaver liest frei und widerspenstig von einem bedruckten A4 Zettel ab. Er schmunzelt. Was da nicht auf dem Zettel steht: Hanns Martin Schleyer – SS Untersturmführer. Aber ob man das jetzt so sagen darf? Dann entscheidet er sich doch für Hanns Martin Schleyer – liebevoller Familienvater. Und so geht das Spiel mit dem Austausch los.
Schnell wird auch klar, dass hier niemand sicher ist. Ersteinmal ein Seitenhieb gegen Kurt A. Körber. Der Gründer der Stiftung, die uns alle diese Woche einlädt. Für was steht das A. Nochmal? Achja, Adolf. Aber keine Sorge, Kurt war kein Supernazi wie Schleyer, er war nur Opportunist. Wenn es Russland gewesen wäre, wäre er halt Stalinist geworden, aber hier war es halt die NSDAP.
Grundlage für die nächsten 60 Minuten ist die Anfangsszene des Episodenfilms „Deutschland im Herbst“. Wir folgen Fassbinder (Franz Xaver Franz) und seinem Lebenspartner Armin (Martin Mutschler). Fassbinder versucht sich am Telefon zu erkundigen, ob es schon was neues bezüglich des entführten Flugzeuges gibt. Der leicht bekleidete Armin wirft ungefragt in das Gespräch ein, dass er einfach alle in die Luft sprengen würde. Auf die paar Leute komme es doch auch nicht an, das könne der Staat ja zahlen. Fassbinder wendet ein „Nur wenn jemand was falsch macht, kann es der andere also genau so falsch machen?“ und wirft Armin aus der gemeinsamen Wohnung.
Das Konzept der Inszenierung ist simpel, die Inhalte groß und viel.
Immer wieder spielen die beiden Darsteller diese Szene nach, tauschen aber essentielle Inhalte aus. So wird aus der RAF die GROKO und die SPD gehöre sich in die Luft gesprengt. Jedes einzelne Mitglied gehöre „enteignet und vergesellschaftet“. Später wird aus der RAF, also aus der GROKO dann ein Online-Lieferdienst für Apfelstrudel, die Szene unerwartet ernst und persönlich.
Meera Theunert und Team stehen zum Whataboutism und knicken nicht ein. Die Darsteller verkörpern nicht immer den Rainer und den Armin. Sie springen raus und rein, kommentieren und singen. Unter anderem ertönt der Songtext von Ton Steine Scherben „Macht kaputt was euch kaputt macht“ auf die immer gleiche Melodie, die der Musiker Martin Mutschler aus der Akkordfolge der deutschen Hymne abgeleitet hat. Doch wird den Rollen von ihren Darstellern eine große Liebe entgegen gebracht. Die Rainer und Armin Rohschnitte sind ihr Werkzeug um einen Versuch zu starten, die Welt und ihre Verstrickungen zu verstehen, vielleicht sogar eine Moral oder eine Handlungsanweisung daraus abzuleiten. Denn dort wo Niklas Luman den Durchschnitts Millenial entmutigt zurücklässt, setzt leck mir die wunden an. Das heißt nicht, dass diese Aufführung dazu geeignet ist, neuen Mut zu fassen, jedoch kanalisiert sich eine Wut und ein Hass, bei dem man schon fast vergessen hat, dass er nicht nur Privatsache ist und es zumindest in diesem Theaterraum doch vielen genau so geht.
Besonders deutlich gemacht wird dieses Gefühl in einer Hatespeech von Xaver (Er ist Spezialist darin), die auf einem Festival wie diesem auf große Zustimmung stößt. Es geht um den (Schauspiel-) Professor und den Sexismus/ sexuellen Übergriff . Haha, als gäbe es nur einen davon, an all diesen Hoschulen, die sich hier versammeln. Schön wär’s. leck mir die wunden spricht zunächst explizit über die HfMT Hamburg. Doch Xaver nennt keine Namen und auch ich zögere…
…
…
P… Nein, ich trau mich nicht. Tut mir Leid.
Vor allem jetzt verursacht diese Thematik bei den Hamburger Theaterstudierenden ein sehr bitteres Lachen. Die aktuelle Lage sieht nicht rosig aus, liebe HfMT. Wir sind wütend und gewisse Opernprojekte machen das nicht besser. Es ist sehr traurig, dass die jüngste Vergangenheit sich so anfühlt, als würde die Hochschule Wege für Übergriffe und ähnliches ebnen, statt einen Schlachtplan gegen toxische Strukturen aufzustellen.
Meine persönliche Bitte an die höheren Positionen: Hört auf, von Generationen zu sprechen. Hört auf, euch zu wundern, wie ihr im Gegensatz zu uns so alt werden konntet. Nehmt unsere Wut und Xavers Hatespeech ernst. Das ist kein Theater mehr, das ist ein ganz reales Problem, das ihr verursacht habt und weitertragt. Die Bewältigung dieses Problems nun voll und ganz in „unsere“ Hände zu legen ist feige und wird kein gutes Ende haben. Das ist kein Theater mehr. Eure Hände sind nicht gefesselt, ihr seid kein Publikum.
„Was habt’s ihr denn zu verlieren? Euren Job? Aha… Und sonst?… Nix? Achso… Ja dann.“
Das Stück endet mit dem langsamen Segeln von unzähligen weißen DIN A4 Blättern. Martin singt noch ein letztes mal leise vor sich hin als er sich von dem Papier begraben lässt.
„Komm Xaver, leg dich zu mir. Ist voll schön.“ ,romantisiert Martin erschöpft. So liegen die beiden in einem DIN A4 Regen.
Bitter: Jedes einzelne Blatt steht für 1,4 Mio Euro. Ungefähr 25000 Blätter stehen für den Reichtum der schwersten 5% Deutschlands.
Minutenlanger Bläterregen und Herbst.
Nach einer Weile herrscht Unsicherheit, ob schon geklatscht werden darf. War’s das jetzt?
Nein, egentlich müsste man die aushalten, die reichsten 5%, eigentlich müssten wir das jetzt ertragen. Aber zum Glück sind wir ja im Theater. Da spielt Geld eh kein Rolle. Oder ist das noch Theater? Ich bin mir nicht sicher.
Also doch aus Verlegenheit Applaus.
Aber ich frage mich noch: Wenn auf der Bühne Herbst ist, ist dann im Publikum Deutschland?
Ich bin sehr entsetzt über diesen Bericht,denn er ist nicht spontan entstanden sondern bewusst denunzierend erbaut.
Sie haben die Vorstellung schon gesehen,sind also bewusst nochmal reingegangen und haben sich um „denBlogg“ bemüht um zu denunzieren!
Sie Alle benutzen die Grosszügigkeit der Körberstiftung zu diesen Regie-Tagen aber es hindert Sie nicht daran,Herrn Körber wegen seines Vornamens zu denunzieren!
Mit Sexismus denunzieren Sie die Professoren der Hochschule,ohne Namen zu nennen,denn dann würde es gefährlich für Sie….also denunzieren Sie nur und das gleich hochschulweit!
Das,was Sie in diesem Blogg machen ,ist für mich das Schlimmste,was es gibt. Das gab es im Nazireich,in der DDR etc.
Ich möchte mit Menschen wie Ihnen nichts zu tun haben! Wollte die Regie Tage schon nicht mehr besuchen aber das wäre nicht fair. Also komme ich und hoffe,Ihnen nicht zu begegnen.
Hallo Karin Lieneweg, mein Name ist Lisa Wagner, ich habe diesen Blog initiiert und hatte damit überhaupt keine schlechten Absichten. Im Gegenteil. „Er steht dafür, dass jede Perspektive und jede Wahrnehmung von Theater relevant ist. Für jede Aufführung gibt es daher mindestens zwei Menschen die aus/von unterschiedlichen Perspektiven eine Kritik schreiben […] Das Ziel ist beschreibend und nicht wertend zu kritisieren und doch die Subjektivität und Voreingenommenheit des Kritikers nicht zu ignorieren sondern auszustellen um die Kritik als Außenstehende*r einordnen zu können.“ Und hierfür haben wir uns viel Mühe gegeben ein Autorenteam von insgesamt 15 unterschiedlichen Menschen zusammen zu stellen und zum Schreiben zu motivieren. Die Unterstellung ich hätte all das getan um Aussagen, einer einzige Aufführung zu pushen finde ich mir gegenüber, sowie gegenüber allen Menschen die nachts an diesen Beiträgen schreiben, und zwar zu allen Inszenierungen die beim Festival gezeigt werden, und dafür sehr viel Zeit investieren und auch häufig ihren Mut zusammen nehmen müssen, nicht fair.
Wenn Sie Interesse an einem persönlichen Gespräch haben, würde ich mich freuen.
Kommen Sie auf mich zu und wir versuchen zu reden. Morgen geht es ja noch. Gute Nacht