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Die Fahrt zum Leuchtturm

Foto: © Körber-Stiftung / Krafft Angerer

Name: Nágila Analy
Beruf oder Berufung: Schauspielerin und Regisseurin
Alter: 34 Jahre
Sitzplatz: rechte Seite

Vor der Aufführung hatte ich gerade meinen letzten Beitrag über “Listen”  geschrieben und war den Tag über einkaufen. Für dieses Stück hatte ich vorher nur eine Synopsis von dem Festivalprogramm und von dem Roman “Die Fahrt zum Leuchtturm” gelesen, sowie ein bisschen über die Biographie von Virginia Woolf. Das Stück hat mit einer Audioaufnahme von der Stimme von Virginia Woolf selbst begonnen und während sie gesprochen hat, habe ich das Bühnenbild auf mich wirken lassen. Es gab einen blau-grauen Teppich und zwei gelbe Wände, die einen nach vorne offenen spitzen Winkel gebildet haben und sich hinten nicht ganz berührten, so dass es eine Lücke gab, durch die dann die Schauspieler*innen auf und abtreten konnten. Aber es gab in der rechten Wand eine Tür, die das ganze Stück geschlossen war und nur einmal zum Abgang einer Person benutzt wurde. Diese räumliche Organisation hat bei mir eine, ich glaube interessante, Empfindung ausgelöst: der spitze Winkel war zu eng für den inneren Bewusstseinsstrom der Personen und gleichzeitig zu groß für den Mangel an körperlicher Bewegung und äußerlichen Aktionen der Figuren im Stück; ein Raum zwischen leer und voll, eine volle Leere oder vielleicht eine bedrückende Leere.

Die Regisseurin Marie Schleef hat, anders als im Roman von Virginia Woolf, nur drei Personen auf die Bühne gestellt: den sechsjährigen James Ramsey (gespielt von Christian Lehmann Carrasco), sowie sein Eltern Mrs Ramsey (gespielt von Anne Tismer) und Mr Ramsey (gespielt von Florian Kroop). Außer diesen Personen, gab es noch eine zusätzliche, schriftliche Stimme, die oberhalb der Bühne projiziert wurde. Ich sehe diese Stimme als eine weitere Person, weil, obwohl sie manchmal nur zur Beschreibung/Narration der Szene benutzt wurde oder als eine innere Stimme der Personen, hatte diese Stimme manchmal auch eine Autonomie, indem sie sogar einen Dialog mit den Personen führen konnte. Man könnte denken oder verstehen, dass dies nur ein innerer Dialog war, aber meiner Ansicht nach, hat die Regisseurin ihr eine absichtlich provokative Unabhängigkeit gegeben.

Vater, Mutter und Sohn bewegten sich in dem Raum auf eine verwirrende und unnatürliche Art und Weise und blickten sich nur selten direkt an. Es war als ob, die Anwesenheit des einen, die Existenz des anderen stört. Die Person des Vaters lief wie ein Roboter und kommunizierte besonders wenig mit seinem Sohn. Die Mutter bewegte ihre Finger unaufhörlich und wiederholend in kreisförmigen Bewegungen und mit gesengtem Kopf. Von Zeit zu Zeit gab sie wie besessen einen Schwall von Buchstaben, Worten und Sätzen mit und ohne Zusammenhang von sich. Es war als ob ihr Körper ihre Gefühle und innere Gedanken auswirft, als die Materialisierung des Bewusstseinsstroms der Figur und die theatralische Interpretation dieser literarischen Technik, für die Virginia Woolf bekannt ist. Der Sohn hingegen lief apathisch durch den Raum und drückte seinen Wunsch und seine sture Idee zum Leuchtturm zu fahren, nicht nur durch Worte sondern auch durch seinen abwesenden Blick aus, also ob nur sein Körper im Raum anwesend wäre, aber seine Gedanken nur auf diese Idee fixiert sind. Die ständige Weigerung des Vaters diese Fahrt zu unternehmen, führte bei dem Sohn zu Hass gegen ihn.

Eine Szene am Ende hat mich besonders beeindruckt. An den gelben Wänden lief langsam eine große Menge orangener Farbe hinunter, die durch die Mutter ohne irgendein Gefühl zu zeigen gleichmäßig über den Wänden mit einer Malerrolle verstrichen wurde. Gleichzeitig wurden durch die projizierte Stimme Daten zur Geschichte der Gleichberechtigung von Frauen in Deutschland seit der Kaiserzeit gezeigt.

3 Gedanken zu „Die Fahrt zum Leuchtturm“

  1. Florian Kroop hat nicht den sechsjährigen Ramsey Sohn gespielt. Er spielte den Vater. Die Besetzung war in der Tat etwas verwirrend wenn man den Roman nicht auf dem Schirm hat.

  2. Ramsey…ist das nicht der Soziopath aus Game of thrones?

    Schöne Besprechung Nagi, das die Tür nur einmal genutzt wurde hab ich zwar wahrgenommen, hatte ich aber garnicht aktiv reflektiert, genauso wie das Bühnenbild. Danke für den Denkanstoß.

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